Die Absurdität von Grenzen

Das Bundesasylzentrum (links) an der Freiburgerstrasse (Bild: mozaik)

Der Verein Pikett-Asyl in Basel unterstützt Menschen mit einem negativen Asylentscheid in der Nordwestschweiz. Susanne Zeugin hat mit ihnen gesprochen. 

Wer in der Schweiz – oft nach wochen-, monate- oder gar jahrelanger Flucht – ein Asylgesuch stellt, kommt umgehend in ein Bundesasylzentrum (BAZ). In Basel befindet es sich an der Freiburgerstrasse, unmittelbar nehmen dem (Ausschaffungs)-Gefängnis. Im BAZ beginnt die Prüfung des Asylgesuchs mit dem sogenannten «Dublin-Verfahren». Zuerst wird anhand der Fingerabdrücke kontrolliert, ob die Person bereits in einem anderen europäischen Staat ein Asylgesuch gestellt hat oder ob sie es geschafft hat, in den Schengenraum einzureisen, ohne einen Fingerabdruck abgeben zu müssen. Ist ersteres der Fall, wird auf das Gesuch nicht eingetreten und das entsprechende europäische Land angefragt. 

Mit einem negativen Entscheid, und wenn die Chancen einer Beschwerde als aussichtslos eingeschätzt werden, verlieren die Asylsuchenden auch den Rechtsbeistand, der ihnen von Gesetzes wegen zusteht. Die nun allein dastehenden Menschen mit einem abgewiesenen Asylgesuch haben gerade einmal fünf Tage Zeit, um eine Beschwerde gegen den Dublin-Entscheid einzureichen. Dies ist eine der Tätigkeiten, bei denen der Verein Pikett-Asyl unterstützt.

Fehlerhafte Asylentscheide korrigieren

Den Verein Pikett-Asyl gibt es seit 2021. Er entstand als Reaktion auf die Beschleunigung und Verschärfung des Asylverfahrens im Jahr 2019. Das Ziel des Vereins ist es, Personen mit einem negativen Asylentscheid rechtlich und sozial beizustehen. Sie sollen niederschwelligen Zugang zu einer unabhängigen Rechts- und Sozialberatung – ausserhalb des BAZ – erhalten und die Möglichkeit haben eine Beschwerde gegen den Entscheid einzureichen, wenn sie dies wünschen. So kann auf Fehler der Rechtsvertretung und des SEM hingewiesen werden, die ansonsten unerkannt bleiben. 

Der Verein arbeitet mit anderen Organisationen wie den Freiplatzaktionen Basel und Zürich zusammen. Das Projekt umfasst 100 Stellenprozente sowie 60 Stellenprozente für eine Praktikumsstelle. Es wird durch Spenden finanziert. Die Leser:innen können sich gut vorstellen, unter welchem Zeitdruck diese Menschen stehen und wie aufreibend die Arbeit der Rechts- und Sozialberatung sein muss. Wobei der Druck für die betroffenen Menschen ungleich höher ist. Die Beratung und das Erheben der Beschwerde wird meistens durch Freiwillige mit unterschiedlichsten Hintergründen (Jura, Sozialwissenschaften, Psychologie etc.) gestemmt. 

Das Interview mit Lara, einer Juristin und Dario, Student der Sozialwissenschaften, führe ich am Sitz des Vereins an der Elsässerstrasse. 

In den letzten sechs Monaten hatten sie an der Elsässerstrasse 316 Beratungsanfragen. Davon waren 234 Menschen im Dublin-Verfahren. Viele Menschen flüchten aus Afghanistan, Burundi und der Türkei, wobei ihnen auf der Flucht in anderen europäischen Ländern ein Fingerabdruck (teilweise unter Zwang) genommen wird.

Lara und Dario weisen darauf hin, dass die Gründe der von der Dublin-Verordnung Betroffenen (zum Beispiel geographisches Ziel ihrer Flucht, Freund:innen oder Familienangehörige) beim Entscheid fast nie berücksichtigt werden. 

Zurzeit werden viele Menschen «im Rahmen von Dublin» von der Schweiz aus nach Kroatien überführt, da ihnen in Kroatien teilweise unter Zwang Fingerabdrücke genommen wurden. Jüngst befinden sich 92 Personen, mit denen das Projekt Kontakt hat, in dieser Situation. Bekannt und durch zahlreiche NGO belegt ist, dass die Menschen in Kroatien Pushbacks, Rassismus und sexualisierte Gewalt erlebt haben.

Erklärungen, dass Menschen, die durch die Dublin-Verordnung betroffen sind, nur temporär in der Schweiz seien und eine momentane Krisensituation im «Asylbereich» bestehe (die vom SEM je nach Bedarf ausgerufen wird), versuchen laut Lara und Dario Zustände zu rechtfertigen, wie beispielsweise «Unterbringungen» in Zivilschutzanlagen an der Neuhausstrasse und Bonergasse in Kleinhüningen oder in Allschwil. Dort haben je bis zu circa 100 Menschen Matratze an Matratze Platz. Die Anlagen werden durch die Securitas und andere Sicherheitsdienste rund um die Uhr bewacht. Diese Art der «Unterbringung» sei für Menschen mit langen «Fluchterlebnissen», allenfalls aus Ländern, in denen Krieg herrscht, sehr problematisch. 

Lara und Dario betonen, dass sie als Vertretende der Zivilgesellschaft juristische und vor allem soziale Beratungen durchführen, die eigentlich der Staat übernehmen müsste. Die Narben der Traumatisierungen durch Gewalt, polizeiliche Einsätze oder andere Übergriffe bleiben bestehen. Sie können wieder aktiviert werden durch einen negativen Entscheid. Medizinische Unterstützung zu bekommen, ist für eine asylsuchende Person nicht einfach. Von allen Asylsuchenden, die in die Beratung kamen, haben gemäss Lara und Dario 80 Prozent gesundheitliche Probleme, davon leiden wiederum 80 Prozent an psychischen Problemen. Diese werden häufig nicht behandelt und durch die Umstände wie Unsicherheiten, Stress und keine Privatsphäre verstärkt.

Basel liegt an der Landesgrenze. Für als Schweizer:innen gelesene Personen ist dies kaum noch relevant. Für Asylsuchende stellt es aus verschiedenen Gründen eine besondere Herausforderung dar. Es ist klar, dass die Stadt nicht für strikte Grenzziehungen ausgelegt ist. Es sei auch schon vorgekommen, dass sich ein Klient im Tram 8 nach Kleinhüningen befunden habe, erzählen Lara und Dario. Dann aber die letzte Haltestelle, die in der Schweiz liegt, verpasst habe und danach in Friedlingen gelandet sei. Dort sei die Person dann durch die deutsche Grenzpolizei abgefangen worden, was die sechsmonatige Überstellungsfrist der Schweiz bei Dublin-Verfahren auf 18 Monate erhöhte.

Beide verstehen sich als sehr politische Menschen. Das bemerke ich auch während des Interviews. Pro Woche bearbeiten sie sieben bis 20 Anfragen. Der Bedarf ist offensichtlich gross. Da die Asylsuchenden im Dublin-Verfahren ungenügend über ihre Rechte und mögliche weitere Schritte informiert werden, fällt bei ihrer Beratung sehr viel an Erklärungsarbeit an. 

Was läuft hier falsch?

Für mich stellt sich die Frage: Was läuft hier falsch? Ich erinnere mich an meine Mitarbeit auf der Beratungsstelle Manolya, Beratung für türkisch und kurdische Frauen, oder als Hilfswerkvertreterin des SAH (Schweizerisches Arbeiterhilfswerk) in den späten 80er Jahren. Vieles kommt mir sehr bekannt vor. Ich bekomme den Eindruck, dass sich nicht wirklich viel geändert hat. Missstände gibt es nach wie vor, Freiwillige leisten rund um die Uhr (eben Pikett) irgendwie Hilfe, ohne wirklich helfen zu können.

Eine Beratung dauert ungefähr eine Stunde. In den letzten sieben Monaten hat das Pikett gemeinsam mit Freiwilligen 286 Beratungen durchgeführt und 164 Beschwerden geschrieben. Was für ein riesiges Pensum! 

Schappo hoch vor diesen jungen und alten Menschen! 

Auf die sprachlichen Barrieren angesprochen, erklären sie mir, dass bei Menschen aus der Türkei, Samet, einer der beiden Praktikanten die Übersetzungsarbeit übernehmen kann. Bei anderen Sprachen unterstützen solidarische Asylsuchende, welche sie schon zuvor beraten haben.

Manchmal fahre ich mit dem Bus 55 am «No Border Café» an der Freiburgerstrasse vorbei, einem Ort des solidarischen Zusammenseins, der politischen Vernetzung und Organisation, der jeweils jeden Sonntag zwischen 12 und 17 Uhr entsteht.

Ich habe jedes Mal das Gefühl, dass in der alten Telefonkabine manchmal jemand übernachtet. Meistens stehen Männer dort herum. An der letzten Bushaltestelle auf Schweizer Gebiet leert sich der Bus nach Weil. Ich kann sitzen bleiben und unbehelligt die für mich «unsichtbare Grenze» überqueren. Für die Ausgestiegenen ist es aber eine wirkliche Grenze mit realen Konsequenzen, was für sie verhängnisvoll sein kann. 

Wie unfair ist denn dies!

Susanne Zeugin